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Cafe Naderi Teheran. Oder: Die persische Kaffeehauskultur – Ein Untergang?

Oktober 20, 2012

In Zeiten der Theokratie, in der das Bestreben der Herrschenden darauf ausgerichtet zu sein scheint, alles zu verbieten, was mit Lebensfreude in Verbindung gebracht werden könnte („Leide bis Du erlöst wirst…“) hat die Zahl der Tee- und Kaffeehäuser (Tchaikhane und Ghavehkhane) offenbar deutlich abgenommen. Ich kann mich – anders als bei Reisen in der arabischen oder türkischen Welt – kaum an solche Orte der Begegnung erinnern. Sicher: „Die Iraner sind keine großen Kaffeetrinker, mit Ausnahme der westlichen Gebiete, wo man ‚türkischen‘ Kaffee serviert, den man ‚iranischen Kaffee‘ nennt“, heißt es in einem Reiseführer von 1972.

Ungesicherten Quellen zufolge gibt es diese Häuser seit etwa 600 Jahren. Es heißt auch, man habe erst Kaffee, dann Tee getrunken, verstärkt seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Teehäuser hat es zumindest seit dem 17. Jahrhundert gegeben, als man anfing, über die Seidenstraße importierten Tee aus China zu trinken, vor allem aber seit die Briten verstärkt Einfluss nahmen und gegen 1900 im Land selbst (bei Lahijan) auch Tee angebaut wurde. Sie sind im Iran „das, was bei uns eine Kneipe oder ein einfaches Gasthaus ist“, heißt es in der gleichen Quelle von 1972. Ebenso gab es schon immer Tchaikhanes oder Ghavehkhanes an Raststätten für Überlandreisende, in denen es – natürlich – auch etwas zu essen gab. Typisch sind Omeletts und Dizi/ Abgusht.

Die britische Reisende Vita Sackville-West beschrieb 1926 die Dunkelheit persischer Basare, aber auch die Kommunikationsfunktion von Teehäusern:

„Hier entstehen die berühmten Basargerüchte: die Männer, die in den Cafés hocken, rauchen und über Politik reden, lasen selbst die außergewöhnlichsten Legenden glaubwürdig erscheinen: Die Russen haben ein Armeekorps an die Grenze des Kaukasus verlegt, die engländer haben eine Verschwörung gegen den Schah angezettelt … All dies geht von Mund zu Mund. Die Perser, die zum größten Teil nicht lesen können, sind noch immer große Geschichtenerzähler, und Geschichten, die aktuelle Ereignisse betreffen, sind bei ihnen besonders beliebt.“

Dagegen hat Freya Stark hat bei ihren Reisen per Maultier um 1930/31 vor allem ländliche Teestuben erlebt. Auf dem Weg durch das Tschalus-Tal im Elburs-Gebirge fotografierte sie ihre Begleiter vor einer Tchaikhana und beschreibt einige andere:

Tchaikhana_FreyaStark_800

So heisst es an einer Stelle ihrer Reisereportage:

„Eine Tschaikhane an der Straße gab Frühstück an Reisende … Wir erneuerten unseren Brotvorrat…“

Für Stark waren diese Häuser – in unwirtlichem Gelände und mangels anderer Herbergen – auch Orte, um die Nacht zu verbringen. Manchmal auch mit Hof und insofern an eine Karawanserai erinnernd. Sogar im Hochgebirge, an der „Burg der Jungfrauen“ (Dokhtar-e Qual’a) über dem Tal des Schah-Rud, fand sie eine solche Teehütte,

„…die, gegen Wind und Schnee geschützt, beinahe bis zum Dach in den Berghang eingegraben war. Hier schlief ich fröstelnd in einer Höhe von beinahe 3100 Metern…“

Auch in einer Reisebeschreibung von Walther Wegener aus dem Jahr 1942 werden drei Mal Teehäuser genannt, die meist auch Speisen und Unterkunft anbieten:

Bei einer Karawanserei bei Murdscheh Khort nördlich von Isfahan: „In einem nahe gelegenen Teehaus erfrischen wir uns notdürftig, schlürfen zum Tee einige rohe Eier und essen Kebab mit Pilaw. Jede neu bestellte Speise wird in flache iranische Brote, die dünn wie Eierkuchen sind, gewickelt. Das Essen ist schmackhaft zubereitet… Wie herrlicher Nektar ist der süße Saft einer Wassermelone, und erfrischend schmeckt das rosige Fleisch.

In Khan-i-Kora nördlich von Persepolis: „Es ist ein armseliger Ort, und meine Bemühungen, in einem Teehaus Wasser und Lebensmittel zu erstehen, sind vergeblich; die Karawanserei ist leer.

Im Dorf Sirgun südlich von Persepolis: „Nach vielstündigem Marsch sind wir in Sirgun und machen in einem wenig geräumigen Teehaus Rast, um hier zu übernachten. Am Abend spielt uns ein Flötenmusikant auf. Ich kenne diesen Kunstgenuss von meinem Aufenthalt in der turkmenischen Steppe und bin auf eine harte Nervenprobe gefasst. Allerdings kann ich diese Prozedur nicht länger als drei Stunden aushalten, so dass auf meinen Wunsch der unermüdliche Spieler endlich davontrollt. Der Dorfschulze hat mir diesen Musikanten eigens zur Unterhaltung gesandt. Nur hat er nicht bedacht, dass sein Repertoire aus nicht mehr als drei Weisen besteht, deren Eintönigkeit auf die Dauer bei noch so gutem Willen unerträglich ist.

In einer Beschreibung des Irankenners John Shearman über das „typische“ iranische Dorf heißt es 1962:

„Sometimes the village is on a motor-road, which follows the track of a far older caravan road. Then there will be a caravanserai, a place where drivers can pull up for rest or refreshment. This will very likely consist of four walls and a tottering double gate surrounding a courtyard. In the courtyard there will be open-fronted rooms against the walls and a gaveh-kaneh (coffee house), serving not coffee but strong milkless tea in small glasses, bottles of cola…“

Die spannende Frage ist nun, ob sich durch die Revolution 1979 etwas verändert hat. Es scheint so zu sein, als habe es diese in anderen muslimischen Ländern jahrhundertealte Kaffee- bzw. Teehauskultur als Ort der Begegnung und des Austauschs hier tatsächlich so nie wirklich gegeben. Das könnte damit zu tun haben, daß man Kaffee (pers.: Ghahweh) mit den ungeliebten oder gar verhassten arabischen Invasoren verbindet. Obwohl Kaffee bis zur Ankunft der Espressomaschinen meist auf türkische Art und Weise zubereitet wurde und man auch den Brauch des Lesens im Kaffeesatz kennt. Aber Tchai wurde immer schon getrunken: ein parfümierter Tee, der aus der Gegend des Kaspischen Meeres stammt. In Teheran hat mich 1992 eine Teestube am Hauptbahnhof fasziniert. Und der Teekeller „Sansun“ in einer Sackgasse an der Kh. Berlin hinter der Deutschen Botschaft. Ansonsten erinnere ich mich nur an Restaurants mit Tee- und Kaffeeausschank. Es gab offenbar auch damals schon nur Orte, in denen man – als Reisender – das dringende Bedürfnis nach einem Getränk befriedigen wollte und durfte, auch so genannte „Cafetarias“, in denen man die Eisspezialität „Faludeh“ bekam.

Dann gibt es Konditoreien wie das Café Natali in Teheran. Oder eben (die ähnlich seltenen) Restaurants, in denen man nach dem Essen noch etwas trinkt. Aber kaum Orte des spontanen geselligen Zusammenseins. Oder gar der Begegnung zwischen Mann und Frau. Ausflugslokale wie die vielen Wasserpfeifen-Lokale (persisch: Ghavekhane Sonnati) an wilden Flußläufen wie im Darband– und Lashgaratal in den Bergen nördlich von Teheran, bilden eine Ausnahme. Auch was das Geschlecht der Besucher angeht: Hier mischen sie sich, sonst ist ein traditionelles Teehaus eine reine Männerdomäne.

Wenn es also doch solche Lokale gab, dann scheinen sie seit 35 Jahren allmählich abgestorben bzw. in Restaurants umgewandelt worden zu sein. Meine iranischstämmige Lebensgefährtin erzählt mir, dass es fast verpönt sei, „draußen“ etwas zu trinken (höchstens ein Getränk abzuholen und dann woanders zu trinken), zu sehr sei man auf die Familie fixiert und habe gar kein Interesse an Kontakten zu Fremden. Es heißt auch, die iranischen Frauen würden ihren Männern gehörig Druck machen, sollten sich diese ständig im Café aufhalten. Was existiert, ist eine ausgeprägte Picknick-Kultur: man sucht sich eine schöne Stelle in der Natur, bringt seinen Samowar mit, bleibt aber unter sich. Was fast gar nicht existiert, sind öffentlich sichtbare Orte wie Café- oder Restaurantterrassen an einer Strassenfront. Wenn, dann gibt es nur Höfe unter freiem Himmel. Vielleicht ist „das Naderi“ deshalb so berühmt?

Das 1927 entstandene Café Naderi in der Kh. Jumhuri-ye Eslami-ye (ehedem Kh. Naderi) in Teheran wird gerühmt als erstes Kaffeehaus des Iran im europäischen Stil. Seinen Namen verbindet man automatisch mit dem des Dichters Sadegh Hedayat, der wie seine Kolleg/innen Ahmad Shamlou, Nader Ebrahimi´und Lili Goestan hier sehr häufig zu Besuch war und zum Ruhm des Naderi beitrug. Neben Kaffee und Tee gibt es auch Shakes, Eis und Gebäck. Gerühmt wird es weniger wegen der Qualität der Speisen und Getränke, als wegen seiner Atmosphäre und den mehrsprachigen eigensinnigen armenischen Kellnern. Ein Foto im Blog Tehran Live zeigt die Stimmung 80 Jahre später 2007 (offenbar etwas schöner/ atmospärischer wirkend, als in der grauen Realität), auch ein weiteres Foto im Blogbeitrag Viva la Teheranità und drei Szenen im Artikel A Well-Lighted Place dokumentieren 2010 eine sehr europäische intellektuelle Atmosphäre:

Im Artikel zu den letzten drei Fotos wird das Naderi ausführlich beschrieben. Ein Ausschnitt:

For my generation at least, the kids born after the revolution, the concept of the „café“ or pub, a place where people go to lounge, socialize, drink (be it alcoholic or nonalcoholic beverages) and read a paper is just nonexistent. Instead, there are the traditional tea houses (chay khaneh) populated by older men. There are the new dingy cafes. But Naderi is different. The room is bright, the waiters smile, the chatter is loud and warm. We take comfort in one another’s presence; we try to sip that last drop of coffee as slowly as we can just so we have an excuse to sit a while longer.

Nicht erwähnt wird, dass man im Naderi von sehr erfahrenen armenischen Kellnern bedient wird. Das Quartier war schon immer eines der bevorzugten Wohngebiete von Armeniern. Hier ein sentimentales Schwarz-Weiss-Video eines Italieners, das aber wohl aus der Zeit nach 1979/80 stammt (weil im Garten nichts los ist).

Mitte Juli 2012 wurden in einer offenbar exemplarischen Aktion über 80 Cafés in Teheran wegen „unislamischem Verhaltens“ seiner Besucher geschlossen (vgl. Al Jazeera). Es handelte sich offenbar vor allem um seit einigen Jahren neu entstandene Cafés mit freiem Internetzugang bzw. Internetcafés mit gemischtgeschlechtlicher Besucherstruktur (wie sich das anhört…). Also nicht solche, von denen ich oben sprach. Ob das Naderi zwischenzeitlich davon betroffen war, weiß ich nicht. Die Zuwendung des Mannes in grünem Hemd zu seiner Tischnachbarin (erstes Foto oben) zeigt wohl, was nicht mehr geduldet werden sollte. Als ich einen Monat später dort war, hieß es, dass es „wegen des Ramadan“ geschlossen sei – so sagte man mir jedenfalls im gleichnamigen Hotel. Merkwürdig. Tagsüber wäre das verständlich, aber abends? Ein so bekanntes Lokal? Die Restaurants waren in Teheran nach Sonnenuntergang eigentlich selbstverständlich geöffnet. Am Naderi waren jedoch konstant die Rolläden herunter gelassen:

Im Garten des Naderi Cafés schien im August 2012 die Zeit eingetrocknet zu sein. Man ahnt, wie gemütlich man hier einmal an Sommerabenden in nachtclubähnlicher Atmosphäre unter Bäumen gesessen hat. Es wirkt nicht, als sei das nur jetzt im Ramadan nicht möglich gewesen, sondern als wäre hier schon seit gut fünf Jahren kein Kellner mehr durchgelaufen. Und so scheint es tatsächlich auch zu sein:

Mitte September gab es Entwarnung: Das Naderi ist wieder geöffnet, wie eine neu eingerichtete Facebook-Seite dokumentiert. Alhamdullilah. 2016 waren wir wieder dort: Alles wie gehabt. Im gleichen Jahr erschien in der „Iran Review“ sogar ein langer Text von Firouzeh Mirrazavi zum Café: In der Rubrik „Historical Heritage“! Na also.

Ein weiteres sehr altes Teehaus ist (war?) in den 1960er-Jahren das Rey in der damaligen Kh. Istanboul. Als eines der letzten klassischen Kavekhanes (auch: Ghavehkhane) ist das Khodemuni („Bei uns zu Hause“) in der Kh. Taleqani/ Kh. Fairnan. Das Familienunternehmen wird von Aga Ferri und seiner Frau Zahra betrieben. Hier kommen die Leute des Viertels zusammen, um die neuesten Nachrichten auszutauschen und etwas Entspannung zu finden, heißt es im Iran-Reise Know How. Einen eher auf alt gemachten Neubau eines traditionellen Kavekhane findet man auch am Maidan Tajrish (Blogtext dazu).

Ob das Kaffeehaus Kavekhane Azadi ganz am Südende der Kh. Vali-e Asr nahe dem Teheraner Hauptbahnhof 0berhalb des Meydan-e Rah-e Ahan noch existiert und ob es das Haus ist, das ich 1992 erlebt habe, muss ich beim nächsten Besuch unbedingt klären. Es heißt, hier werde ausschließlich Dizi/ Abgusht serviert, was nicht ganz zu einem Kaffeehaus passt. Dazu gibt es Vorführungen klassischer persischer Musik.

Dieses gut 60 Jahre alte, Mitte der 1990er-Jahre von der Stadtverwaltung sanierte Traditionshaus, war nach Schilderungen von Volker Perthes vor einigen Jahren der wohl einzige Ort, den die wohlhabenden Bürger des Nordens der Stadt in dieser schon deutlich ärmlicheren Gegend besucht haben. In diesem „eingeschossigen flachen Ziegelbau in Hofbauweise, dessen Patio durch ein Zeltdach zum zweiten Gastraum geworden ist“ soll sich Perthes zufolge eine nette Anekdote zugetragen haben: Hier bewirtete der damalige Reformbürgermeister Teherans Karbastchi seinen Istanbuler Kollegen und jetzigen türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan. Dieser wollte während der Gebetszeit beten und fragte nach einem Gebetsraum. Es gebe aber keinen in dem Kaffeehaus, erklärte der wenig respektvolle Kellner und wies Erdoğan an, stattdessen auf der kleinen Bühne zu beten. Das soll dieser dann auch getan haben, während die anderen Gäste dies als Teil einer täglichen Vorführung betrachteten. Dieser letzte Teil der Anekdote sei nicht verbürgt, schreibt Perthes 2006, sei aber denkbar, da es hier in der Gegend (und auch sonst in Teheran) kaum Moscheen gibt. Die Lokale lassen sich fast an einer Hand aufzählen. Es ist aber generell nicht so, als gäbe es keine Cafés mehr.

Im Zentrum Teherans zu nennen sind auch:

sowie zumindest fünf weitere moderne Cafés am Vali-e Asr-Platz, der wichtigsten Kreuzung der Nord-Süd-Achse Kh. Vali-e Asr (ehemals Kh. Pahlavi) und der West-Ost-Achse Kh. Enqelab-e Eslami (ehemals Kh. Reza), also in der alten City der 1950er-1970er-Jahre:

  • Godot;
  • Coffee Rebar (ehem. Khalifeh) in der Kh. Mozaffer 44;
  • Qajar in der Kh. Mozaffer, Ku. Khajeh Nasir;
  • Téatr (unterhalb der Rudaki Halle, Talar-e Vahdat) in der Kh. Arakelian/ Ecke Kh. Bahrami;
  • Sepidgah, an der Nordost-Ecke der Kreuzung
  • sowie in der Umgebung der Teheraner Uni das Art Café, etwas westlich vom Vali-e Asr Platz.

Etwas weiter nördlich, in der City der 1980er- und 1990er-Jahre ist vor allem ein Versuch eines künstlerisch-intellektuellen Cafés zu nennen: Das Café Prag im Saman Tower (Underground level des Bolvar-e-Keshavarz), das von einem der beteiligten Gründer im März 2010 optimistisch als „place, where people can sit around a table and socialize“ beschrieben wurde, nicht ohne im letzten Satz schon zu ahnen, dass dieser Versuch einer privaten Party im öffentlichen Raum zum Scheitern verurteilt ist:  „A voice tells me that this party won’t last too long, but this voice is drowned in the sound of loud music and vivid conversations“ (link). Es ist tatsächlich heute nicht klar, ob das Café, das auch vegetarische italienische Küche anbietet noch existiert. Auf der von fast 15.000 Surfern gelikeden Facebook-Seite wurde im November 2012 immerhin noch kommuniziert. Es scheint, als spiele die Musik, was moderne Wasserpfeifen- und Coffeeshops angeht, vor allem im Teheraner Norden: Im wohlhabenden Nordteil Teherans gibt es einige moderne Lokale eines anderen Stils und für eine andere Klientel, zum Beispiel das „Monin“ am Tajrish-Platz, eine Mischung zwischen Café und (nicht alkoholischer) Cocktail-Bar. Das Angebot ist dem persischen Geschmack angepasst, so gibt es zum Beispiel einen Macchiato mit Honig.

Etwas ganz besonderes existiert seit Mai 2018 in der Nähe des Wanak-Platzes: ein Inklusionscafé namens „Downtism„, in dem alle Mitarbeiter*innen entweder das Down-Syndrom haben oder Autisten sind (Artikel im Letzebuerger Journal, Video).

Hier eine Liste teurer Lokalitäten, vermutlich der Oberschicht, die sich fast alle innerhalb eines Shopping Centers oder Luxushotels befinden. Allein im Einkaufszentrum Gandhi scheint es fast ein Dutzend zu geben. Besonders beliebt ist das Sam Café, das – wie manch anderes Café im Norden – auch ein Restaurant ist und vor allem einen Art Gartenterrasse hat – obwohl in einem Hochhaus (erstes Foto unten). Das zweite Foto zeigt das Roberto Cafe – mit weiblicher Kellnerin, was gar nicht so selten ist, wie es uns unsere stereotypen Vorstellungen vermitteln:

Sam Cafe_800

Roberto Cafe_800

Mohsen M. hat seine persönlichen Top Ten ins Netz gestellt. Generell finden sich im Internet Hinweise auf Restbestände von Kaffeehäusern älteren Stils, so zum Beispiel eine unlokalisierte eindrückliche Fotoserie von Mehraneh Atashi aus dem Jahr 2001.

  • 2003 entstand das von einer Frau gegründete Café 78;
  • 2010 machten dort zwei weitere Frauen ihr Bistro auf;
  • Mir gefällt das 2006 gegründete Cinema Café am Filmmuseum;
  • 2015 entstand das Venus Café in der 22nd Street südl. der Motahari Avenue.

Hier ein Video zur traditionellen Teehauskultur.

Bekannt und sichtbar sind landesweit jedoch am ehesten Ghavekhanes, die in „touristische“ bzw. historische Orte integriert sind. In Teheran zu nennen sind: Der Masoudiyeh Palast, der Golestan Palast, das Café Shemroon (auch Hessabi Garden) ist ein Café im Bagh Mouseh Honar-e Iran, dem Garten des Museum of Iranian Arts. Im Garten des 2008 entstandenen Film Museum of Iran – ebenfalls im Norden der Stadt – gibt es ebenfalls ein „Coffeehouse“, allerdings auch wieder eins, in das man nur als Besucher des Museums hinein kommt. Dann gibt es Restaurants wie das Ayeyaran, neben deren Speisesaal auch eine Tee- und Shisha-Stube besteht. Hotel-Restaurants und Teehaus-Restaurants an Überlandstraßen natürlich auch, allerdings viel seltener als anderswo im Orient. Zum Beispiel südlich des Tunnels im Elbursgebirge an der Straße von Karaj nach Chalus.

Darüber hinaus scheint es landesweit lediglich in Isfahan, Kashan, Kerman, Mahan, Qazwin, Schiraz, Yazd, Zanjan und anderen wichtigen Orten Ghavekhanes in historischen Gebäuden und Parks zu geben:

Das wohl berühmteste findet sich unter einer Arkadenbrücke in Isfahan. Die Khwaju-Brücke war wie die Tschahar-Brücke in den 1960er-Jahren „once the evening resort of the citizens of Isfahan“, wie Wilfrid Blunt damals schrieb. Er zitiert einen Autor namens De Buyn, der  irgendwann früher (mir leider zeitlich unklar) die Szenerie beschrieb: „You see an infinite number of persons of both sexes taking the air by the riverside, near the waterfall, and in the fine way that runs along he arches of the bridge, some on horseback, some on feet, smoking and drinking coffee, which they find ready for them. Aber schon damals in den 196oern schien das Café zumindest zeitweise geschlossen zu sein. Es wurde immer wieder eröffnet und geschlossen…

Andere finden sich in einem Mausoleum oder gegenüber von ihm, wie in Mahan, im Basar (wie das Negarossoltaneh in Qazwin), in einer Zisterne, in Karawansereien, umfunktionierten historischen Hamams, wie in Kerman oder Yezd, an einer Quelle (Bagh-e Fin) oder am Pavillon eines Paradiesgartens (Mahan). Fast immer als besonders präparierter schön geschmückter Ort für einen Besuch im Kontext von Ausflügen, Reisen und (Kultur)tourismus, der meist authentisch ist, manchmal aber auch innenarchitektonisch angepasst wurde:

In der ehemaligen Karawanserei der Medresse i Mader i Schah in Isfahan gibt es – integriert in den heutigen Komplex des „Abbasi Hotels“ – ein ähnlich altmodisches Teehaus, in dem zumindest bis in die späten 1970er-Jahre Märchenerzähler die großen Epen der Vergangenheit vortrugen, während die Gäste an heißen Sommerabenden im engen Nordliwan der Karawanserei ihren Tee tranken. 1992 habe ich das Teehaus als stilvolles, aber letztlich unechtes touristisches Lokal erlebt. Heute ist es Teil eines Fünfsterne-Hotels mit entsprechender Kundschaft. Auf der anderen Straßenseite bietet das Radiocafé eine ganz andere, moderne Atmosphäre. In einem Blogeintrag von 2010 und einem anderen Reisebericht von 2012 fand ich weiteres Teehaus zum Rauchen von Wasserpfeifen, das eine sehr originelle Inneneinrichtung hat:

Es ist dennoch sehr auffällig: So gut wie nie gibt es in iranischen Städten – wie sonst im Orient – einfache Teestuben und Cafés in der City, etwa an einer belebten Kreuzung. Selbst am Teheraner Flughafen Mehrabad gibt es nur zwei Kioske, in denen man einen Nescafé auf die Hand bekommt – um ihn im Stehen zu trinken. Mir sind lediglich im Basar von Kerman zentral gelegene Teehäuser bekannt. In Teheran liegen sie immer in gewisser Weise versteckt. Sie alle haben nichts mit volkstümlichen Tee- und Kaffeehäusern vorrevolutionärer Zeit zu tun. Gleiches gilt für die „Café Net“ genannten Internetcafés, die wohl vor allem von den genannten polizeilichen Schliessung dieses Sommers betroffen waren.

Es scheint zu stimmen, daß nach 1979 ein totaler Rückzug ins Privatleben erfolgt ist und sich Ausnahmen fast nur in eingegrenzten Bereichen (von Hotel bis Museum) fanden, bis dann etwa ab dem Jahr 2001 und verstärkt etwa seit 2010 eine Reihe interessanter Neugründungen von Cafés erfolgten (chronologische Liste), die aber eher Refugien der oberen Mittelschicht sind. Behnam Marandi beschrieb 2010 diesen neuen Trend:

Our city is not known for being hospitable to people from diverse backgrounds and many are forced to lead a double or multiple life because of this. In recent years, however, and with the change in demography, one can observe a shift in social tectonics, one that has given way to more plastic subcultures. Now you see people who don’t feel obliged to hide their wants and preferences. If they are not entirely transparent, at least they show parts of their personality — or that which they like to be — to others.They are also observing others and trying to be tolerant of difference. Public spaces are slowly welcoming this show of difference, too, and you can see pockets within the city that reveal diverse identities that in the years past couldn’t be seen. Until a couple of years ago, frequenting cafés was one those activities that seemed on the verge of extinction but has enjoyed a second life. Those who used to prefer the comfort of their houses, spent alone or with a limited group of friends, can now go out, to cafés that reflect their preferences. The number of cafés and public gathering places has seen a marked increase, and, with it, choice has entered the picture.“

Ich bleibe mal an der Frage dran. Und bin für Hinweise dankbar.

Literatur: Blunt, Wilfrid: Isfahan. Pearl of Persia, London/ Toronto 1966, S. 147-48;  Golab P.: A Well-Lighted Place, in: frontline, Tehran bureau, 09.03.2010; Hureau, Jean: Iran für Sie, deutsche Ausgabe, Bonn 1972, S. 263f; Kamin, Mohammadi: Tehran Cafés, in: travelintelligence.com, ohne Datum; Marandi, Behnam B.: Café Prag, in: TehranAvenue, march 2010; Matheson, Sylvia A.: Persien. Ein archäologischer Führer, Stuttgart 1980, S. 230; Mirrazavi, Firouzeh: Naderi Café, in: Iran Review, 20.03.2016; Nasiri, Mohammad: „Downtism Café“, Letzebuerger Journal, 11.08.2018); Perthes, Volker: Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch, München 2007, S. 376; Shearman, John: The land and people of Iran, London 1962; Stark, Freya: Im Tal der Mörder, Heyne Verlag, München, 1991, S. 361, 364, 381, 384  (engl. Originalausgabe von 1936); Syma, Sayyah: Lunch at Gole Rezaieh Restaurant in Tehran, Payvand Iran News, 02.02.2005; Syma Sayyah: Restaurants in Tehran; Sackville-West, Vita: Bombay, Bagdad, Teheran. Meine Reise nach Persien, Original von 1926, Nachdruck Wiesbaden 2016, S. 111; Wegener, Walther: Syrien/ Irak/ Iran, Leipzig 1943, S. 187, 223, 230.

Copyright der Fotos: Ekkehart Schmidt (außer die ersten sechs, siehe vorab genannte Quellen) Check: http://www.xpedia1.com/de/Teheran.html

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