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Missverständnisse im Tchaikhane Maks_Rayen

Januar 9, 2017

Ein Nachtrag aus 2013, weil mich da eine – wie ich 2016 wieder erlebte – banale und doch familienintern bereits legendäre Story einholte, die noch zu verarbeiten ist: lustig, abstrus, vielleicht auch typisch für meine – jedenfalls von den Verwandten meiner Frau in Kerman empfundene – Art und Weise des Sammelns von Erfahrungen im Iran. Ich befinde mich dort meist in einer merkwürdigen Situation zwischen den Welten: Als Kenner und früherer Bewohner des Landes, aber doch – vor allem mangels Sprachkenntnissen – immer auch tölpeligem Touristen-Wesen, einem westlichen Besucher auf Zeit also, der sich zwar nicht wie die üblichen, gebildeten Kulturreisenden durchs Land bewegt, aber eben trotzdem vieles nicht versteht oder anders/ falsch einschätzt. Ich wurde jedenfalls, in liebevoller Frotzelei, diesen August wieder  gefragt, wie das damals nochmal mit dem Hühnchengericht im Teehaus in der Kleinstadt Rayen war, wo wir eine Tante in ihrem Wochenendhaus besuchten…

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

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Das Teehaus „Maks“ (سفره خانه مکس) war für mich damals wegen der grell-bunten, untypischen Fassade äußerlich gar nicht so einfach als solches erkennbar gewesen. Und es war auch meistens geschlossen, wenn wir vorbei kamen. Aber diese in hunderte persischer Teehäuser aufgeklebter Figur mit weißem Bart, versonnen neben einer Wasserpfeife sitzend, war – falls wahrgenommen – Zeichen genug. Einmal durch die schwere Tür über die im Iran so wichtige Schwelle zwischen Außen- und Innenwelt getreten, gelangte man in einen eher ungemütlichen Innenhof, der so gar nicht nach einem kommunikativem Raum aussah, den ich als Mitteleuropäer erwarte. Abgesehen von einem kleinen Brunnen und bunten Lämpchen gab es rot-weiß gestreifte, Assoziationen von Polizei und Verkehr aufkommen lassende Bordüren am Fuß der Wände. Und verschlossene Séparées dahinter. Zum Tee trinken und Wasserpfeife rauchen oder essen, wohlgemerkt. Alleine oder in Begleitung. Vielleicht sogar unverheiratet. Nur eine normale und drei halb mit Strohmatten versteckte Sitzecken draußen, von denen wir eine beim ersten Besuch nutzten. „Maks“ bedeutet „innehalten“ bzw. bezeichnet eine Pause zwischen zwei Aktivitäten. Sehr passend für ein Teehaus. Genau das suche ich immer wieder, wenn ich unterwegs bin.

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

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Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

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Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Die Anekdote war ganz banal, wie gesagt. In diesem Großdorf, wo wir einige Tage bei Verwandten verbrachten, hatte ich das starke Bedürfnis, auch einmal aus diesem wohlig-kollektiven Gemeinschaftsdings auszubrechen und mir ein Café zu suchen, in dem ich mal alleine meinen Gedanken nachgehen konnte. Im Idealfall bei einem Espresso, realistischerweise bei einem Tee. An der Hauptstraße hatten wir vor ein paar Tagen ein solches Lokal entdeckt und für ein Kännchen Tee besucht. Mittags, als einzige Gäste. Mit der Frage, ob hier zu anderen Zeiten mehr los sein würde. Es war zwar schon spät am Nachmittag und ich musste und wollte natürlich zum Mittagessen zurück sein. Insofern war das eine etwas schräge Aktion. Aber manchmal muss man als Westler aus dem persischen Kollektivleben ausbrechen, um die Illusion individueller Entscheidungsfreiheit aufrecht zu erhalten.

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Im Lokal angekommen setzte ich mich in eins der Séparées, holte mein Tagebuch heraus, um ein wenig zu reflektieren. Ich war der einzige Gast. Der Kellner kam und ich bestellte einen Tee. Daraufhin antwortete er etwas, das ich so interpretierte, als hätte er gefragt, ob ich ein Kännchen wolle. Nur in stark frequentierten großstädtischen Teehäusern ist klar, dass man mit einer Teebestellung nur ein Glas meint. Andernorts wird meist ein Kännchen serviert. Ich bejahte also. Nach einer Viertelstunde kam er zurück und präsentierte mir ein leckeres Hühnchengericht auf Reis, mit Brot, Cola und Joghurt… Da hatten wir beide wohl jeweils etwas falsch verstanden. In einem Lokal, das so gut wie nie von Fremden betreten wird, konnte er sich wohl nicht vorstellen, dass ich nur einen Tee möchte. Aber sollte ich das Essen jetzt zurückgehen lassen? Das kam nicht in Frage, falls es vielleicht weggeschmissen werden würde. Also fügte ich mich, verschlang das Gericht in der wenigen Zeit, die mir blieb und wollte mit vollem Bauch pünktlich zum Mittagessen zur Familie zurückkehren, als mein Teekännchen kam. Mit drei schon gefüllten Tassen …

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Tchaikhane Maks_Rayen © Ekkehart Schmidt

Das war dann der Moment, bei dem ich den Kellner bat, mich mal kurz zu fotografieren… So viele Missverständnisse bei einer so banalen Teebestellung („Yek Tschai lotfan“) – das wollte ich dokumentiert haben.

Angesichts der Petroleum-Öfen und dicken Gardinen in den Séparées wurde mir aber auch klar, dass diese für den kalten Winter gedacht sind. Jedenfalls kann man das gegenüber möglichen staatlichen Sittenkontrolleuren vorschieben. Oder ist das auch alles nur wieder mit westlichen Vorstellungen in eine völlig andere Situation hinein interpretiert?

Adresse: Khiabane Modares, GPS-Koordinaten: 29.600519, 57.437454

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