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Interview, Bar Americain

August 21, 2013

WORK IN PROGRESS

Für mittlerweile ziemlich viele Generationen von Schüler*nnen innerstädtischer Gymnasien ist sie das Bermuda-Dreieck, ein Treffpunkt beim Warten auf den Bus. Und auch ein Ort, in dem man auch einfach aufhört zu warten, weil man hier ganz da sein kann. Nicht nur nach Schulschluß: Am Hamilius, dem bis zum kompletten Umbau des auch „Aldringen“ genannten Platzes zentralen Busbahnhof Luxemburgs, läßt es sich im „Interview“ wunderbar abhängen, ehe es nach Hause geht.

Aber auch als Grenzgänger vor der Arbeit schnell einen Espresso im Stehen zischen, die Mittagspause verbringen oder nach der Arbeit einen Absacker trinken. Welcher sozialer Schicht, Altersgruppe oder Subkultur man auch angehört: Hier kann man sich wohl fühlen, in einer hierzulande einmaligen Mischung aus FAZ, Corriere de la Sierra, International Herald Tribune, Wort und Tageblatt blättern. Und bis 2014 rauchen.

Die Patina ist echt, hier ist nichts auf „Retro“ gestylt, weder die 12 Marmortische, noch die Holzbänke oder die Fenster, die im Sommer weit offen stehen. Der Name des Lokals nimmt Bezug auf eine gleichnamige Zeitschrift, von der ich noch nie etwas gehört habe, deren Cover aber die Wände schmücken. Da muss ich also mal recherchieren, sagte ich mir 2013.

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Kuxemburg (c) Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

Interview, Luxemburg © Ekkehart Schmidt

„Interview“ also, genauer „Interview Magazine“ ist eine 1969 von Andy Warhol und einem Journalisten gegründete Zeitschrift,  die als Vorläufer heutiger Zeitgeist-, Lifestyle- und Fashion-Publikationen gilt. lerne ich über Wikipedia. Neben der Originalversion gibt es seit 2012 eine deutsche Ausgabe der Zeitschrift. Nicht mein Ding das, aber interessant. Ob die Café-Bar aus der Zeit stammt? Nein, damals gab es hier wohl ein Restaurant, das Café entstand aber erst 1982, erzählt mir der griechischstämmige Kellner, der mit dem iranischstämmigen Inhaber im Team seit Jahrzehnten den Laden schmeisst.

Nachdem das Café etwa ein Jahr lang eher eine Nachtbar war und in Konkurs ging, wurde es von Felix Miny übernommen, einem veritablen Maître barista für Illy, der es etwa bis 1999 pachtete, wobei aber die Kaffeekonzession an Munhoven überging, wie es in einem Artikel von 2012 im Land heißt. Ich traf ihn Mitte September 2017 und er erzählte mir ein wenig.

Später las ich, ebenfalls im Land, dass der Inhaber zwar überlegt habe, einen neuen Anstrich zu machen und die Toiletten zu sanieren, sich dann aber dagegen entschieden habe, weil er genau wisse, warum die Stammkunden immer wieder kommen: Weil sich eben genau nichts ändert und sie alles so neu erleben, wie sie es von früher kennen: den guten Kaffee, die Zeitungen und das Ambiente des 20. Jahrhunderts…

Links neben der Theke gibt es hinter einer Tür eine Wendeltreppe in den ersten Stock, der wirkt, als ginge es hier zu versteckten Räumen, in denen illegal Poker gespielt wird. Stattdessen verbarg sich dort jahrelang das Restaurant „Upstairs“ sowie später kurzzeitig „Primo Piano„, das allerdings nicht unbedingt immer gut lief und daher Anfang 2014 geschlossen wurde, unter anderem, weil eher bürgerliche Besucher davor zurückschreckten, sich abends ihren Weg durch Pulks rauchender Jugendlicher in Punk- oder Gothic-Outfit zu bahnen. Seitdem das Rauchen verboten ist, kommen zumindest morgens weniger Kunden, für die eine Zigarette zum Kaffee dazu gehörte, zeigte sich Inhaber Ramin Safavi Ende 2014 unzufrieden mit der neuen Nichtrauchergesetzgebung. Zwar kämen mehr Familien, aber das sei kein Ausgleich.

Im Februar 2015 hat über dem Café eine „Food Box“ mit persischer Küche aufgemacht, um die alte Tradition fortzusetzen. Das Essen ist wirklich gut, preiswert und wird schnell serviert. So war ich kurzfristig sehr in Versuchung geraten, das „Relax“ und „Chez Julie“ zu verlassen, um künftig häufiger hier meine Mittagspause zu verbringen. Bis die monströse Baustelle begann, die alles rund um den Hamilius komplett verwandelt hat.

Alles. Bis auf das „Interview“. Genau. Eben…

Adresse: 21 Rue Aldringen, 1118 Luxembourg (direkt „Hamilius“)

Mehr zum „Interview“: Weitere Fotoserie von Uglymely; Cyril B.: Vide intersidéral, in: Letzebuerger Land, 03.01.2020

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Interview, Bar americain © Ekkehart Schmidt

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