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Archetypisches vom Bordell am Bahndamm

Mai 3, 2014

Als ich diese Woche zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden an diesen beiden Orten vorbeifuhr, die mich schon früher fasziniert haben, und ich schon wieder nicht aufgepasst und keine Kamera greifbar hatte, war ich beim dritten und vierten Mal eisern entschlossen, bereit zu sein. Würde ich in Düsseldorf wohnen, hätte ich den ersten dieser Orte längst zu Fuß aufgesucht, wenn es auch schwierig gewesen wäre, einen Weg zu finden (und vermutlich haben das viele andere schon getan); den zweiten nicht, weil ich sicher Ärger erzeugt hätte (außer aus einem gut verdeckten Versteck heraus, was sicher auch schon andere getan haben): Zu diesem Grafitti wenige hundert Meter nördlich des Hauptbahnhofs und jenem Häuserblock wenige hundert Meter südlich.

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Durch räumlich und zeitlich unglücklich ungünstige Termine bin ich nun aber innerhalb von 48 Stunden vier Mal auf meinen Wegen zwischen Saarbrücken, Bochum und Luxemburg sowie Witten und zurück an die Saar hier vorbei gekommen. Bei den beiden so faszinierenden Objekten war mir das Festhalten mit der Kamera besonders wichtig, obwohl ich auch ohne dies genug Stoff zum Nachdenken und zu Hause berichten gehabt hätte. Aber beide sollte man sehen, um wirklich zu verstehen: Was sich der Künstler gedacht hat und wie sich das anfühlt, in diesem Häuserblock anschaffen zu müssen. Das Grafitti erinnert einen geschichtsbewussten Deutschen daran, dass wir in gewisser Weise psychologisch betrachtet noch in ähnlichen Zeiten wie unter den Nazis leben und uns trotzdem nicht trauen, aufzubegehren. Was das Arbeiten in einem solchen Bordell angeht zum Beispiel. Denn nichts anderes ist dieser Häuserblock. Oder den gierigen Finanzkapitalismus.
Meinem Voyeurtrieb folgend, habe ich nicht nur ein halbes Dutzend Fotos des Bordells gemacht, sondern mir diese mittels der Vergrößerungsfunktion meiner Kamera auch genauestens angeschaut. Völlig zufällige Momentaufnahmen, in die ich aber viel hineininterpretieren konnte. Sie sind wegen der ICE-Geschwindigkeit alle unscharf, aber das ist auch gut so, schließend habe ich in nicht korrekter Weise – ohne nachzufragen – Intimität geklaut. Andererseits: Wer diese Frauen sieht, fährt zugleich zügig vorbei, ohne Chance für eine genauere Beobachtung oder Kommunikation. Das schützt die Frauen natürlich auch. Vielleicht gehen sie davon aus, dass sie dadurch anonym bleiben. Aber erniedrigend bleibt es dennoch, vor den Augen von Reisenden als Prostituierte entblößt zu sein (die Augen der Freier unten sind ein anderes Thema). Weil meine Fotos unscharf und grobkörnig vergrößert sind, behalten sie ihre Anonymität nicht nur, sondern werden – zumindest in meiner Phantasie – zu Archetypen.

Diese Serie habe ich im April 2018 nach einer weiteren Vorbeifahrt ergänzt.

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Das Bordell nennt sich offiziell „Bahndamm, ist aber als „Hinter dem Bahndamm“ bekannt und wegen seiner nummerierten Fenster, in denen sich die Frauen zeigen und Freier anlocken müssen, sehr auffällig und markant. Ein ähnliches Haus soll es in Hannover geben. In der Vielfalt der Prostitution in Düsseldorf gehört dieses in die preiswerteste Kategorie, heißt es. Edelbordelle finden sich in der Rethelstraße. In dieser Häuserzeile in der Industriestraße 4-8 folgen ein gelbes, grünes, rotes und blaues Haus aufeinander. Erst Ende März gab es hier eine Großrazzia, bei der es darum ging, Menschenhandel und Zwangsprostitution aufzudecken.

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Im  gelben und blauen Block zeigte sich niemand an den Fenstern, vielleicht sind alle bei der Arbeit. Anders am grünen Block, ich sortiere mal nach den Zahlen an den Fenstern, von oben nach unten: 44 und 48 haben Schilder mit kleingedruckten Texten ans Fenster gehängt; aus 45 schaut eine traurige junge Blonde, aus 38 eine eher melancholische (unnötig zu sagen, dass sie alle sehr gelangweilt und tief frustriert sein müssen). Bei 36 hängt ein Aufkleber eine Frau in klassischer Präsentierpose, aus 33 schaut eine schwarzhaarige Frau aus Fernost, bei 27 erkenne ich ein eine Stützkonstruktion, um aus dem Fenster zuschauen, sowie ein Vordach (Aha: der ganze untere Bereich hat auch solche Dächer – ich verstehe, dass die graue Mauer einen zugänglichen Bereich den Augen der Reisenden entzieht und dort wahrscheinlich die meisten Prostituierten in direkten Kontakt zu Freiern kommen). Bei 25 eine Afrikanerin, wohl im Gespräch oder vor der Glotze.

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt
Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt
Im roten Block stehen Namen (22 Patricia, 31 Rosi, 34 Susi, 46 Silvia) oder Andeutungen zur Art des Services (22 Französisch, 47 Bizzar Studio).In 21 ist eine Afrikanerin, in 32 eine Asiatin zu sehen, in 33 eine nur schemenhaft erkennbare Frau, bei 34 und 42 liegen rote Handtücher auf der Fensterbank, bei 37 die am deutlichsten erkennbare Frau, eine falsche Blonde im lasziv zerzausten schwarzen Unterhemd.

Am 5. Mai und 2. Juni bin ich wieder hier vorbei gekommen, eine Gelegenheit, den Eingangsbereich zu fotografieren: Zwischen Bahndamm und Haus führt jenseits einer Art Schleuse neben einer Brückendurchfahrt ein Gang unter die Fenster, es scheint keinen Eingang zur Straße zu geben.

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

Das Haus existiert seit 1962 und wurde wenig später sogar ein Thema für den SPIEGEL. Damals wohnten hier 228 Frauen. Das „Dirnenquartier“ wird aufgrund seiner Rationalisierung als „beinahe unternehmerische Leistung“ beschrieben, hätten doch noch 1954 nahezu 3600 Mädchen „durch die Ruinenfelder und Straßen zwischen Düsseldorfer Hauptbahnhof und Rheinufer“ streunen müssen. Damals wurden sie „im Durchschnitt pro Tag mit drei bis vier Kunden handelseinig“. 1965  würde die Frauen, die im Häuserblock Hinter dem Bahndamm „residieren“, „gegen ein Entgelt von 15 Mark an aufwärts binnen 24 Stunden bis zu 40 Geschäftspartner“ empfangen. Das ergebe „insgesamt mehr als 8000 Kundenbesuche täglich, rund 250 000 monatlich – fast genauso viele, wie es männliche Düsseldorfer über 21 gibt“.

Hier ein Lageplan:

Lageplan_Düsseldorf_Bahndamm

Wie das Zahlensystem funktioniert hat ein „Jako“ so beschrieben, dass Freier bei der Beschreibung des anvisierten Zimmers keine Fehler machen: „Zimmer sind von rechts nach links durchnummeriert. Zimmernummer = Etage + Zimmer, Hausfarbe mit angeben. Rot 31 ist folglich im roten Haus in Etage 3 und dort Zimmer 1.“

Weshalb welche Frau in welchem Haus und eher in den oberen oder unteren Etagen ihrem Gewerbe nachgeht, ist mir nicht ersichtlich. Ob man mit Erfolg aufsteigen (also absteigen) kann?. Aus dem vierten Stock in den ersten? Oder ist es eher umgekehrt?

Es gibt einen aktuellen Blog „Bordellcommunity“ mit Berichten von Freiern, in denen es dann zum Beispiel heißt: „Grün 6 wollte ich aber auch mal testen gehen. Über sie habe ich schon häufiger Gutes gelesen“. Kommentieren mag ich das dort zu lesende nicht. Ich wollte mich generell hier nur einmal subjektiv ausdrücken, wie das Haus von außen wirkt und was vom Inneren erahnbar  wird. Mich also nicht ruhig verhalten ob der Existenz solcher Gebäude.

Vorher und nachher sehr viele zum Teil sehr gute Grafitti:

Düsseldorf (c) Ekkehart Schmidt

Verwendete Quellen: DER SPIEGEL: Hausen und Hegen, Nr. 15, 07.04.1965; Jako: Bahndamm Düsseldorf (jako’s world, ohne datum); Kinast, Juliane: Von Kokotten und Dirnen – Die Geschichte des Milieus, Westdeutche Zeitung, 30.07.2012; Prostitution in Düsseldorf, Solinger Tageblatt, 22.05.2012; 100 Freier und Prostituierte bei Großrazzia in Düsseldorfer Bordell kontrolliert, WAZ, 28.03.2014; Bordellcommunity

Archetypisches vom Bordell an der Zugstrecke © Ekkehart Schmidt

7 Kommentare
  1. Die Graffitigemälde an der Strecke sind schon sehr sehr gut….

  2. eva maria permalink

    war früher fast 1 jahr dort, es hat mir sehr gefallen weil das arbeitsklima sehr gut war

  3. Michael permalink

    En super geile Zick wünsche ich euch Herren .Ist doch ne feine Sache in Düsseldorf für kleines Geld. Wer hat was dagegen die Politik. Und da sehen die meisten so aus als hätten die immer nur ihre eigene … durchgenommen.Ich finde Super und für die Zuckunft „Mehr davon“

    Schöne Grüße aus Emmerich am Rhein

    Leider nichts los seit Jahren !!!

  4. schließlich sind wir für alle da

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