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Castanheiro an der Place de Paris

April 16, 2016

Es ist der kleinste Wochenmarkt, den ich kenne und der einzige, den ich zwar in und auswendig kenne, auf dem ich aber dennoch nie etwas gekauft habe: Letzten Mittwoch gab es dort nur zwei Stände plus einem mobilen Hähnchengrill und einem Maronenverkäufer. An dem einen Stand bekommt man bei einem aus dem Kosovo stammenden luxemburgischen Vater mit seiner Tochter eine breite Auswahl an Bio-Gemüse, an dem anderen verkaufen zwei chinesisch oder malaiisch wirkende Händler Topfblumen und Kräuter.

Jeden Mittwoch und Samstag zwischen 7 und 14 Uhr findet sich hier an der Place de Paris im Bahnhofsviertel von Luxemburg eine Art Mini-Ableger des großen Wochenmarktes auf der Place Guillaume II, vulgo „Knuedler“. Seit ich vor fast acht Jahren 100 m weiter zu arbeiten begonnen habe, kam es mir nie in den Sinn, hier einzukaufen – was in Bezug auf Blumentöpfe, Obst und Gemüse als in Saarbrücken lebender Grenzgänger (und Fahrradfahrer) wegen der Transportproblematik naheliegend ist. Grillhähnchen sowieso nicht und Maronen extrem selten, lieber selbst gesammelt im Herbst. Daher fragte ich mich, ob die Nachfrage hier ausreichend sein kann und habe in den letzten Wochen einmal immer mittwochs genauer geschaut, was sich tut.

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Der Markt scheint als Viertelsmarkt auch in diesem Büroviertel durchaus seine Bedeutung zu haben. Entstanden ist er vielleicht bald nach 1986, als der Pariser Platz als zweigeteilte kleine Fußgängerzone links und rechts der Avenue de la Liberté angelegt worden ist. Seitdem sind die Terrassen der Restaurants rechterhand im Sommer gut gefüllt und nebenan am Brunnen tummeln sich die Tauben. Linkerhand ist nur während des Wochenmarkts Betrieb. Schreibt sich so. De facto stehen an der Bushaltestelle deutlich mehr Menschen als sich auf dem Markt befinden.

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Neben dem Grillauto des „Hähnchenkönigs“ Maison Franssens am Nordrand des Marktes steht dieses Frühjahr ein portugiesischer Maronenmann unter einem auffälligen türkisblauen Sonnenschirm. Ob er neu sei, fragte ich ihn letzte Woche. Nein, es sei seit Jahren immer wieder da, antwortete er und erklärte mir gleich die Besonderheit seines Ofenwagens: Der Ofen bestehe aus „terre battu“, also wohl gebackener Tonerde. Ich darf einmal schauen und eine der großen Maronen probieren, deren besonders guter Geschmack wegen der sanften Röstung entstehe, erzählt der „Castanheiro“. Das sei ein Klassiker in Lissabon, erklärt er nicht ohne stolz, sich in einer heimatlichen Tradition zu sehen. Der Erlös des Verkaufs sei für einen hiesigen portugiesischen Verein bestimmt, konkret für die Feiern zum portugiesischen Nationalfeiertag. So jedenfalls steht es auf einem kleinen Schild.

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Tatsächlich werden die Esskastanien in Lissabon ganz anders zubereitet als hierzulande oder etwa in der Türkei: Zwar qualmt es auch hier, aber die Kastanien werden nicht über dem Feuer oder in der Glut gegrillt, wodurch die Kastanienhaut immer leicht angekokelt ist, die Konsistenz ist meist fest, fast ohne Feuchtigkeit und der Geschmack trocken-nussig. „In Lissabon werden die Kastanien hingegen in die Asche gelegt, also nachdem das Feuer hinuntergebrannt ist. Auf dem Blech präsentieren sie sich dementsprechend gräulich eingestaubt. Der Geschmack ist auch ganz anders: Die Lissaboner Kastanien haben sich noch wesentlich mehr Feuchtigkeit enthalten. Sie schmecken deshalb saftig, weniger nussig und eher wie eine Trockenfrucht“, schreibt Matthias Neske in einem Blog.

Die beiden anderen Marktstände sind dagegen zwar vergleichsweise konventionell, haben aber ein sehr breites Angebot:

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Es gibt hier nur einen Obst- und Gemüsestand „Istrefi Bio Uebst a Gemeis“, der seit 2008 von dem in Luxemburg lebenden deutschen Händler Emin Estrefi betrieben wird, der seine Ware aus Meckenheim bei Bonn bezieht. Das Angebot ist zu 100% bio.

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Estrefi, der auch auf den Märkten in Esch und Düdelingen und auf dem hauptstädtischen Knuedler verkaufte, stammt aus dem Kosovo. 1970 in Mitrovica geboren floh er 1992 vor dem drohenden Bürgerkrieg nach Deutschland und wurde – obwohl ausgebildeter Elektriker – Obst- und Gemüsehändler. Zunächst verkaufte er herkömmliche Ware, stieg nach seinem Umzug nach Luxemburg 2003 aber auf bio um, nachdem er in Mamer bei einem Biobetrieb überzeugt wurde. 2019 hörte der mittlerweile eingebürgerte nach insgesamt 27 Jahren auf und wurde im Tageblatt gewürdigt als sehr freundlicher, sympathischer und zuvorkommender Händler beschrieben, der immer faire Preise gemacht habe. Seine Zeit als fahrender Früchtehändler beendete er, weil er eine Festanstellung bei einer Gemeinde bekam. Einen NAchfolger hat er für diesen anstrengenden Job nicht gefunden.

Weiter Märkte in Luxemburg sind neben dem schon genannten großen Wochenmarkt auf dem Knuedler der Mittwochsmarkt in Bonneweg, der  jeden Mittwoch von 7 bis 12 Uhr vor der Kirche abgehalten wird. Auch auf dem Glacis wird von März bis November (ausser August) jeden dritten Sonntag im Monat von 10 bis 17 Uhr ein Markt abgehalten. Seit dem Sommer 2016 gibt es dienstags von 15 – 20 Uhr auch auf Kirchberg einen Wochenmarkt (gegenüber dem Auchan).

Noch kleiner als dieser Markt an der Place de Paris ist der Obststand am Ilseplatz in Saarbrücken. Aber ein Stand macht noch keinen Markt. Dieser hier hat eigentlich schon alles, was es braucht. Außer vielleicht einem bunten Gedrängel von Kunden. Nett kommuniziert wird dennoch. Und vielleicht ist das ja sowieso das wichtigste Kriterium eines „ordentlichen“ Marktes.

Einen ebenso kleinen Markt gibt es übrigens in Bonn: Den St.Josefs-Markt.

Nachtrag vom März 2019: Durch die Baustelle der Tram in der Avenue de la liberté ist der Markt bis auf weiteres aufgelöst worden. Der Stand „Istrefi Bio Uebst a Gemeis“ ist zum Knuedler-Markt ausgewichen.

Nachtrag vom 3. September 2021: Nach Beendigung der Baustellenarbeiten hat der Platz einen neuen Charakter. Auch der Wochenmarkt ist am 8. Juli zurück gekehrt, er befindet sich jetzt auf der anderen Seite der Avenue, umfast ein Dutzend Stände und nennt sich wegen der Nähe zum Bahnhof jetzt „Garer Maart“ (Bahnhofsmarkt). Es gibt regionale Produkte wie Marmeladen oder Honig, aber auch portugiesische Waren.

Verwendete Quellen: van Hulle, Guy: Die Marktlücke, Tageblatt, 20.09.2019; Visit Luxemburg: Weekly markets; Neske, Matthias: Die Castanheiros von Lissabon, (Chez Matze, 19.04.2011)

Der Mini-Wochenmarkt an der Place de Paris © Ekkehart Schmidt

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