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Patisserie Tearoom_Péiteng

April 7, 2018

Ich benenne mich heute erstmals als „Konservativer“ (huch?). Das hat damit zu tun, dass ich in der ZEIT vom 22. März eine „Faustformel“ konservativen Denkens las, die ich in Bezug auf Gaststätten nur unterstreichen kann: „Nicht das Vorhandene muss sich rechtfertigen, sondern das Neue“. Ich empfinde es nicht als reaktionär, wenn mir Cafés, Kneipen, Restaurants und Hotels gefallen, die dem Druck widerstanden haben, sich nach Jahrzehnten eines stilgerechten Daseins (ob 50er-, 60er- oder 70er-Jahre-Architektur) einer Sanierung zu unterziehen, bei der oft nur Tische und Stühle in einem traurigen Modernisierungswahn mittels Großeinkauf bei IKEA ersetzt werden, womit dann aber die bewährte stimmige Atmosphäre zerstört wird.

Konservatives Agieren meide harte Schnitte und versuche, mit den Überlebenskräften des Bestehenden zu arbeiten, heißt es weiter in diesem Text zur „Begriffserklärung für die verwirrte Öffentlichkeit“. In der gleichen Ausgabe der ZEIT las ich allerdings auch ein Zitat eines Musikers, der sagte: „Nostalgie ist gefährlich, wenn man überleben will“. Er bezog es auf Rockmusik, aber es gilt wohl auch für die Gastronomie. Wenn die Besucher ausbleiben oder die Stammkundschaft durch neue Konsumgewohnheiten auszusterben droht, ist das derart existenziell gefährdend, dass viele Inhaber die Flucht nach vorne antreten.

Oder aufgeben und verkaufen bzw. den Pachtvertrag nicht erneuern, wie bei diesem Lokal, das ich gestern als einzig in der Bestuhlung noch authentisches Lokal in Petingen aufgestöbert habe – in einer Kommune mit zwei Dutzend Lokalen. Es hat eine wohl sehr alte Geschichte, die für mich jetzt online nicht rekonstruierbar ist. Offenbar ist die jahrzehntealte Leuchtreklame „Patisserie“ linkerhand und „Tearoom“ rechterhand des Eckbaus an der Einmündung einer kleinen Straße auf die Hauptstraße am Rathausplatz mindestens von zwei neuen Pächtern einfach da belassen worden, während man unterhalb den jeweils neuen Namen installierte: Zuletzt 2009 „Wirol“, wie Fotos auf Google Earth zeigen (wobei angesichts runtergefahrener Rolladen nicht klar ist, ob das Lokal noch existiert oder leer steht):

GoogleMaps_2_800

GoogleMaps_1_800

Gestern kam ich vom Bahnhof, dessen schönes Intérieur ich erst bei der Rückfahrt bemerkte, per Rad runter zum Rathausplatz:

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Was das wohl mal war? Mit diesem Namen?

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Man betritt erstmal eine klassische Bäckerei und kann dann nach der Bestellung rechterhand in eine ruhige Caféstube gehen, in der noch ein paar ältere Damen sitzen. Ich nahm mir zwei Varianten Chorizo-Brötchen und dann – war noch nicht satt – noch ein Sandwich. Und einen Espresso für zusammen gerade mal 8 Euro.

Patisserie Tearoom/ Welcome plus (c) Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Tearoom...Petingen (c) Ekkehart Schmidt

Der Ausländeranteil der durch die Stahlindustrie geprägten Kommune lag im Jahr 2010 bei 44,7 Prozent, wobei Portugies*innen dominieren.

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Und blieb ne Weile. Den Hintergrund des merkwürdigen neuen Namens dieses heute sehr portugiesischen Lokals „Welcome plus“, konnte ich nicht herausfinden. Der Ausländeranteil der durch die Stahlindustrie geprägten Kommune lag im Jahr 2010 bei 44,7 Prozent, wobei Portugies*innen dominieren. Das spiegelt sich auch in den Lokalen vor Ort wider. Das auf dem 2009er-Google Earth Foto erkennbare Nachbarlokal „Café Cocoon“ existiert allerdings nicht mehr. Der Zwischenraum wird aber – jedenfalls im Sommer – mit einer Terrasse bestückt, durch die hier – vielleicht – eine kleine Oase entstanden ist.

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

Ich könnte mir vorstellen, dass hier gelegentlich schon Bim Diederich gesessen hat, der – obgleich in Esch an der Alzette geboren – von der Gemeinde als berühmtester „Sohn der Stadt“ geehrte Radsportler.

Seinen einprägsamen Spitznamen Bim erhielt er, weil er als 16-Jähriger in einer Apotheke arbeitete und so auch das Potenzmittel „Yohimbine“, kurz „Joe Bim“ genannt, verkaufte. Seit 1937 war er Mitglied des Vereins Union Cycliste Pétange (UCP),  fuhr sein erstes Rennen 1939 und wurde 1947 Profi. Seinen größten sportlichen Erfolg hatte er in der Tour de France 1951, als er drei Tage im gelben Trikot fuhr. Nach dem Ende seiner Laufbahn betrieb er hier im Ort – etwa einen Kilometer von hier – eine Fahrradwerkstatt.

Patisserie Tearoom/ Welcome plus_Péiteng © Ekkehart Schmidt

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